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Respekt auf Deutsch13. 9. 201010 minut

Wieso gerade hier?

„Hier haben bis vor Kurzem noch keine Roma gewohnt,“ bemerkt Ludvík Juřík, der Bürgermeister von Uhelná, einem nordmährischen Dorf. Im Herbst tritt er zum zweiten Mal für die tschechischen Christdemokraten zur Kommunalwahl an und er versteht nicht, „wieso diese Leute ausgerechnet bei uns sein müssen.“

Astronaut

Die Rede ist von 72 Roma in zwei Wohnblöcken und einem Doppelhaus im Dorfkern. Nach Uhelná konnten sie im Lauf der letzten sieben Jahre dank der Toleranz der damaligen Bürgermeisterin Marie Surovíková und der Bemühungen des Bürgervereins Ester ziehen. Der Verein hilft notleidenden Menschen bereits über zehn Jahre lang. Der jetzige Bürgermeister konnte sich nie an die neuen Nachbarn gewöhnen, dennoch funktionierte das stille Zusammenleben mehr oder weniger gut. Nun ist die Situation jetzt aber noch komplizierter.

Nur ein Geschäft

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Ludvík Juřík versprach seinen Nachbarn schon vor den Wahlen im Jahr 2006, dass er „Uhelná von den Zigeunern befreit“. Die nächste Abstimmung steht vor der Tür und der Bürgermeister greift wieder auf den bewährten, wenn auch gänzlich inoffiziellen Wahlspruch zurück. Wie er es tun möchte, ist im Dorf mit 500 Einwohnern aber ein Rätsel. Die Häuser, in denen die örtliche Gemeinschaft der Roma lebt, befinden sich in Privatbesitz. So ist der Eigentümer froh, dass er anstelle der damaligen „weißen“ Nichtzahler sowie anstelle von Mietschulden in Höhe von Zehntausenden, nun zahlende Roma hat. Zudem haben 45 der neuen Bewohner im Ort bereits ihren Dauerwohnsitz.

Autor: Karel Cudlín

Die meisten Roma-Familien kamen aus den umliegenden Dörfern nach Uhelná. Angelockt wurden sie von den Projekten von Ester, in deren Rahmen für sie bereits zwei Wohnblöcke gebaut wurden. Der Besitzer kündigte nach und nach seinen lange nichtzahlenden Mietern den Vertrag und so konnte Ester, in die freigewordenen Wohnungen arme Roma aus der Umgebung wohnen lassen. Die neuen Bewohner bekommen also nicht nur den Dach über den Kopf, bekommen aber auch Unterstützung bei der Arbeitssuche. Das Zusammenleben mit den anderen Bewohnern ist bis heute nicht immer ideal. Im Ort kam es durch den Zuzug der Roma zu einem Anstieg der Kleinkriminalität und zu Lärmbeschwerden, sowie zu Beschwerden über die übermütige Roma-Jugend. Dennoch wurden keine ernsteren Probleme vermerkt.

Die Situation verschärfte sich in den letzten Monaten, als zwei neue Familien im Dorf ankamen. Die erste sechsköpfige kam vor einigen Monaten aus dem 15 Kilometer entfernten Vidnava zu Fuß, hungrig und mit drei Plastikbeuteln in der Hand, in denen der Großteil ihres Besitzes war. Der zweiten Familie – auch in prekärer finanzieller Lage – bleibt nach der Miet- und Stromzahlung gerade einmal 17 Kronen pro Tag zum leben. Der Vater begann vor nicht allzu langer Zeit zu trinken und seine Frustration lässt er nun an seiner zum sechsten Mal schwangeren Frau aus.

Der Konflikt zwischen dem Bürgermeister und den Leuten von Ester gipfelte nun vor wenigen Wochen, als der Verein angesichts der Dringlichkeit dieser Fälle vorschlug, zwei Wohnungen im „Roma-Doppelhaus“ in Asylwohnungen für eben solche Familien mit akuten sozialen Problemen umzuwandeln und daneben ein Gemeinschaftszentrum zu errichten. Kurz vor den Wahlen erschreckte das den Bürgermeister so sehr, dass er zu sich nach Uhelná Journalisten einlud, denen er seine Theorie vorstellte. Nach dieser würde der Verein nur deshalb ein „Ghetto“ errichten wollen, um besser an Fördergelder zu kommen. „Das ist einfach ihr Geschäft,“ bekräftigt Juřík überzeugt.

Von Gott geschickt

Aus dem dreistöckigen Block erklingt bis auf die Straße Shakira-Musik. Es ist kurz nach Mittag, an diesem schwülen Tag und unter einem Pflaumenbaum ruhen sich Světlana und ihr Lebensgefährte auf dem selbstgebauten Sofa aus. „Wir sind das sechste Jahr hier. Ich arbeite im Gemeindeamt als Putzfrau“, zögerlich antwortet sie auf meine ersten Fragen. Dann ergreift ihr Partner das Wort, die Frage nach seinem Namen wird mit einem Brummen übergangen. „Das, was der Bürgermeister der Zeitung sagte – wir seien ein Ghetto von Unanpassungsfähigen, beleidigt mich,“ sagt er schroff und fügt an, dass er dieses Mal zu den Wahlen gehen wird, das heißt, wenn überhaupt ein zweiter Kandidat ins Rennen geschickt wird.

Nun kommt Besuch und beide verabschieden sich. Es gibt zu tun, denn wenn der Besuch über Nacht bleiben möchte, müssten sie davon den Leuten von Ester Bescheid geben, wobei die Besuchsdauer auf drei Tage beschränkt ist. Weitere Einschränkungen sind im Mietvertrag verankert. Falls jemand mit der Miete in Rückstand gerät und nicht spätestens im dritten Monat beginnt, seine Schulden zu begleichen, hat der Vermieter das Recht ihn vor die Tür zu setzen. Zurzeit haben nur zwei Familien Mietschulden, und das in einem lediglich dreistelligen Bereich.

Autor: Karel Cudlín

„Das ganze Theater ist nur wegen der Wahlen“, sagt Zlatica Pokutová, eine Nachbarin von Světlana, die den jüngsten Sohn im Kinderwagen im Garten schaukelt. Ihr Mann ist noch auf Schicht im Granitsteinbruch und beide hoffen, dass der derzeitige Bürgermeister die Wahlen verliert. Hier leben sie seit 2004. Vorher wohnte die sechsköpfige Familie in einem einzigen Raum im unweit gelegenen Vojtovice. „Ich fühle mich hier zu Hause. Die Leute haben sich an uns gewöhnt, im Laden schwätzen wir über Neuigkeiten“, sagt sie. Frau Mária aus dem Nachbarhaus stimmt kopfnickend zu.

„Wenn es Ester nicht gäbe, würden meine Kinder im Heim wohnen und ich selbst wäre, Gott weiß wo“, erzählt Mária auf dem Weg zum zweiten Wohnhaus, das ungefähr 200 Meter entfernt vom ehemaligen LPG steht. Vor acht Jahren lebte sie noch mit ihren sechs kleinen Kindern in einem Ziegenstall in Bernartice ohne Strom und fließendes Wasser. Ihr Mann saß damals im Gefängnis, was für sie aber keinen Unterschied machte, denn so oder so kümmerte er sich nicht um die Familie. Abraham Staněk, der Mitgründer von Ester, konnte damals vor Gericht die Wegnahme der Kinder für einige Zeit verschieben. Innerhalb von wenigen Tagen trieb Ester einen verlassenen Bauerhof auf, in welchem rasch eine Wohnung saniert wurde. „An den Wänden trocknete noch die Farbe, aber die Beauftragte vom Jugendamt gab mir den nötigen Stempel und die Kinder wurden mir gelassen,“ erinnert sie sich.

Auf den Treppen vor dem Wohnblock sitzt eine alte Frau und fuchtelt mit einer Fliegenklatsche. „Hier ist es eigentlich ganz gut – bis auf die Fliegen und den Gestank,“ stellt sie zwischen den Schlägen fest. Auf dem Hof mit dem Sandkasten und den voll behangenen Wäscheleinen sammelt sich eine Gruppe schaulustiger Frauen und Kinder. Das Wort ergreift eine Sechzigjährige, auf deren Fußknöcheln folgende Sätze tätowiert sind: „Verrat tut weh“ und „Darum leide ich.“ Sie ist sehr dankbar für die Hilfe: „Abraham hat uns Gott geschickt.“ Sie heißt Josefína Horváthová und ist seit den achtziger Jahren rastlos umhergezogen. Vierzehn Kinder hat sie in die Welt gesetzt und hier in Uhelná hat sie endlich ihre Ruhe gefunden.

Man muss es nur versuchen

„Abgeerntete Obstbäume, verlorengegangene Hühner, die Störung der Nachtruhe und der Diebstahl eines defekten Ofens, den sich ein Ortsansässiger vor die Tür gestellt hat, um ihn zum Schrottplatz zu bringen.“ Dies sollen laut der Bürger die Verstöße der neuen Nachbarn sein, so die ehemalige Bürgermeisterin Marie Surovíková. Sie versuchte ganze acht Jahre einen pragmatischen Weg für die Angelegenheit zu suchen und den Ortsansässigen zu erklären, dass weder der Verein noch die Roma für Uhelná schlecht seien. Die Kräfte hierfür sind ihr letztenendes ausgegangen. Als sie 2006 vom Amt des Bürgermeisters abgelöst wurde, bedeutete das für Surovíková eine Erleichterung. „Drohungen, Beschimpfungen waren normal. Und den Mann, der mich um den Tisch gejagt hat und mir gedroht hat, mich umzubringen, habe ich angezeigt“, erklärt sie. „Die Leute müssen irgendwo leben, dennoch halte ich ihre Anzahl im Ort gegenüber der tschechischen Mehrheit nicht für ideal. Aber dafür kann nicht Ester, sondern der Staat. Der hat sich von den Leuten die Hände rein gewaschen“, sagt sie und fügt an, dass bei Weitem nicht nur die Roma in der Region Javornicko unter sozialen Notständen leiden. Arbeitslose und verschuldete Leute gibt es hier viele. „Wenn solche Leute dann beobachten, dass jemand immer wieder eine neue Chance bekommt, sie selbst aber nicht, dann ist ihre Verbitterung darüber mehr als verständlich.“

Autor: Karel Cudlín

Hinzu kommt, dass wir uns in dem ehemaligen Sudetengebiet befinden. Die Einheimischen haben nur einen oberflächlichen Bezug zu diesem Ort. „Die Leute vertrauen sich kaum und sind anderen gegenüber eher verschlossen. Das ist hier kein typisch südmährisches Dörfchen.“ bemerkt Karel Novák, der bis vor kurzem Mitarbeiter der tschechischen Hilfsorganisation Člověk v tísni (Mensch in Not) gewesen ist und jetzt als Koordinator der örtlichen Mitarbeiter von Ester beschäftigt ist. Als gebürtiger Prager würde er nicht samt Familie hierher gezogen sein, wenn er nicht an Verbesserungschancen glauben würde. Das könnte unter anderem durch einen Wandel der Förderpolitik geschehen, die eine Ausweitung der Hilfsleistungen auch auf diejenigen Tschechen im Ort bewirken könnte, die genauso Unterstützung benötigen. Auch neue Arbeitsplätze und Dienste, die im Rahmen des Programms entstehen, können dazu beitragen.

Ester hat beispielsweise in den vergangenen vier Jahren bei der Rekonstruktion von drei Ruinen mitgeholfen – dem Schwimmbad in Javorník und einer Villa im Račí údolí (Krebstal) sowie im Dorf Travná. Das Schwimmbecken und die ersten vier Holzhäuser des zukünftigen Campingplatzes wurden von der Kundschaft des Vereins unter Anleitung von Fachleuten erbaut. Der Verwalter davon ist heute ein Jugendlicher, der seine psychische Erkrankung in den Griff bekommen hat. Weitere Kunden des Projektes helfen beim Betrieb des Schwimmbades aus.

Die Villa von ehemals vertriebenen Sudetendeutschen am Rande des Krebstals wurde orange angemalt und dient nun als gediegene Pension. „Ich bin mir sicher, dass man es immer wieder versuchen muss. Es ist besser Chancen zu gewähren, als immer nur zu zweifeln“, sagt Abraham Staněk. Das hört sich gut an, aber ohne eine gute Beziehung zur Gemeinde wird der Verein nur schwer seine Arbeit tun können. Nun senkt aber der energische Widerspruch der Stadtvertretung gegen die Errichtung eines Gemeinschaftszentrums die Chancen auf Fördergelder. Unsicher ist auch die Verlängerung der Mietverträge kommunaler Räume für Freizeitaktivitäten. Jetzt wird auf das Wahlergebnis gewartet und vor allem erstmals darauf, ob der zurzeit noch einzige Kandidat Juřík einen Konkurrenten erhält. Dies ist aber schwer voraussehbar.

Übersetzung: Majka Doms


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