Wenn es gilt, dass die Politiker ein Spiegelbild des Volks sind, dann stimmt hier irgendetwas nicht - die Tschechen mit dem Ruf, weit und breit die atheistischste Gesellschaft zu sein, haben eine Vorliebe für lauter gläubige Politiker. Welche genau die Leute sind, die an der Spitze der wichtigsten Parteien stehen. Soll sich in der Gesellschaft und der Politik das religiöse Eis bewegen?
Katholik, Katholik, Hussit, Katholik
Was verbindet Petr Nečas, Jiří Paroubek und Karel Schwarzenberg?
Eine schwierige Frage, oder? Außer den Ambitionen auf den Posten des Premiers wird es nicht viel sein. Aber doch etwas - sie alle sind gläubige Leute. Und diese Tatsache verbindet nicht nur die erwähnten Drei, dieser gemeinsame Nenner verbindet die Spitze der inländischen Politik.
In denTop Fünf der bekanntesten Politiker bekennen sich laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts (CVVM) alle zu irgendeiner Konfession, die Rangliste führt in den letzten Monaten ausgerechnet Karel Schwarzenberg an - ein Katholik, der die Hälfte seiner Sätze mit „so geb’s Gott“ beendet und auch bei Fragen nach möglichen Wahlkoalitionen oder Stimmertrag seiner Partei auf Gott verweist.
Der zweitpopulärste Politiker, der stellvertretende Chef der tschechischen Sozialdemokraten und weiterer Katholik Bohuslav Sobotka, stand wiederum bei der Entstehung der kürzlich erneuerten Christlichsozialen Plattform der Sozialdemokraten, die verspricht, „christliche Werte in die Politik der Sozialdemokraten einzubringen“. Die Top Fünf schliesst der Chef der Sozialdemokraten Jiří Paroubek, im übrigen Mitglied der Tschechoslowakischen Hussitenkirche. Paroubek bekennt sich seit langem aktiv zu dieser Kirche (geht zum Gottesdienst oder zu anderen Veranstaltungen). Kürzlich bekundete er dies deutlich, indem er in der Kirche des Heiligen Nikolaus am Prager Altstädterring seine Tochter Margarita taufen ließ. Zur selben Kirche bekennt sich noch ein beliebter Politiker - Präsident Václav Klaus.
Auf den obersten Stufen der Popularitätsrangliste halten sich weitere Parteivorsitzende auf und auch sie fallen in die Kategorie „Gläubige“ - der Chef der Christdemokraten Cyril Svoboda, der seine Kirchenzugehörigkeit sozusagen in der Stellenbeschreibung hat, und der Vorsitzende der Grünen Ondřej Liška, welcher dies zwar in der Stellenbeschreibung nicht hat, sich aber trotzdem zum Christentum bekennt.
Den Eindruck von irgendetwas Neuem in der Politik hat dann noch der Wechsel an der Spitze der Bürgerdemokraten verstärkt. Der bisherige Chef Mirek Topolánek wurde nämlich unter anderem auch wegen seiner Äußerung zur Kirche als „Hirnwäsche für das Volk“, mit welcher er die Wähler in Südmähren - dem Wahlkreis, in dem er die Nummer Eins auf dem Wahlzettel der Bürgerdemokraten war - empört hat. Und an die Spitze der Bürgerdemokraten trat an die Stelle des ehemaligen Premiers (der zwar öffentlich darüber erwog, sich taufen zu lassen, aber über sich eher als Mensch „auf der Suche nach dem Glauben“ sprach) Petr Nečas. Folglich ein Mann, der den Glauben schon lange gefunden hat. „Ich gehe davon aus, dass Gott in mich hineinsieht, dass ich ihn nicht täuschen kann“, sagte er kürzlich gegenüber Respekt. „Dies ist für mich ein äußerst starkes Korrektiv, damit ich nichts Schlechtes mache. Ich weiss, dass ich dies vor ihm nicht verstecken oder verteidigen könnte.“ Doch Nečas kommt damit nicht schlecht bei den Leuten an - er ist momentan der populärste Politiker der Bürgerdemokraten.
Noch stärker kommt dies zum Ausdruck, wenn man die heutige Situation mit den vergangenen Jahren vergleicht. Bei den letzten Wahlen vor vier Jahren beispielsweise erfüllte unter den Chefs der wichtigsten Parteien neben dem damaligen Vorsitzenden der Volkspartei Miroslav Kalousek einzig Paroubek das Kriterium „gläubige Person“. Die Frage lautet dann auch, ob gläubige Persönlichkeiten an der politischen Spitze Veränderungen in der Politik selbst oder in der Gesellschaft ankündigen. Oder ob sie allenfalls ihre Folgen sind.
Zeitgeist oder Zufall
In der Einstellung der Gesellschaft zeichnet sich schon seit längerer Zeit eine Trennung zwischen der Kirche als Institution einerseits und dem Glauben an Gott oder an eine höhere Macht andererseits ab.
Von allen öffentlichen Institutionen vertrauen die Tschechen seit langem der Kirche am wenigsten, in der Erhebung der Meinungsforschungsinstitute im März dieses Jahres ist dieses Vertrauen sogar auf ein historisches Minimum gesunken - 25 Prozent. Und aus älteren Erhebungen wissen wir, dass die Tschechen größtenteils der Meinung sind, dass die Kirche sich nicht in das öffentliche Leben einmischen sollte. Als das Soziologiezentrum für ökonomische und soziale Strategien der Karlsuniversität vor acht Jahren die Leute fragte, welche Institution für die Führung der tschechischen Gesellschaft größeren Einfluss haben soll als bisher, haben sich bloß 15 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, dass dies ausgerechnet die Kirche sein sollte. Eine ganz andere Situation ergibt sich bei der Frage nach dem Glauben. Zu irgendeiner christlichen Konfession zählt sich ein Drittel der Tschechen und diese Zahl sinkt weiter, die Mehrheit der säkularen Leute glaubt wiederum an eine „höhere Macht“. „Ein niederes Maß an kirchlicher Religiosität heißt nicht, dass in der tschechischen Gesellschaft ein hohes Interesse an übernatürlichen und spirituellen Fragen nicht anhalten würde“, schrieb Dana Hamplová vom Soziologischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik vorletztes Jahr in ihrer Abhandlung.
Und vielleicht deshalb widmet heute fast niemand seine Aufmerksamkeit der religiösen Orientierung der politischen Leader. Als die Soziologen vor zehn Jahren nach dem Einfluss der religiös veranlagten Leute in der Politik fragten, waren die Tschechen geteilter Meinung - der Hälfte war es egal, die andere Hälfte hatte damit ein Problem. „Die Religion wurde zur Privatsache. Und den Leuten ist es im Grunde genommen egal, zu welchem Glauben sich die Politiker bekennen“; sagt der Politologe der Brünner Masaryk-Universität Stanislav Balik. „Obwohl beispielsweise in der Ersten Republik ein Katholik für bestimmte politische Richtungen inakzeptabel war.“
Im Allgemeinen denken weder Experten noch Politiker, dass bei der Popularität oder auf dem Weg zur Parteispitze die Religiosität eine Rolle spiele. „Ich habe dies bemerkt, aber bewerte es als Zufall“, sagt zum Thema der Gläubigen auf der Rangliste der politischen Popularität der Chef des Think-Tanks „Volksinstitut“ Roman Joch. „Die Erscheinung ist interessant, aber ich denke nicht, dass dies etwas Grundsätzliches bedeuten würde“, schüttelt der Vorsitzende der Christdemokraten Cyril Svoboda den Kopf. Und es ist auch kein Ausdruck tiefer Veränderungen in der Inlandspolitik. „Auf das Christentum berufen sie sich zwar, aber im politischen Leben ist dies irrelevant“, sagt Jiří Hanuš, Chef des Brünner Instituts für christliche Studien. „In den Parteiprogrammen oder in ihren aktuellen Schritten spiegelt sich dies nicht wider.“ Ein Beispiel solch einer Zwiespältigkeit sind die Sozialdemokraten, welche zwar eine christlich-soziale Plattform gegründet haben (zu ihr kommen wir noch), jedoch längerfristig den finanziellen Ausgleich mit den Kirchen ablehnen.
Kampf um gläubige Wähler
Dabei hätte in den diesjährigen Wahlen die Religion eine Rolle spielen können - die schwankende Unterstützung der Christdemokraten setzt nämlich auch eine Gruppe Wähler frei, um welche die Parteien einen Kampf zu führen begannen. „Bei den Christdemokraten ist eine große Verunsicherung ihrer traditionellen Wähler zu beobachten, ihre traditionelle Wählerbasis zerfällt“, sagt der Politologe Balík. „Gleichermaßen scheint es, dass die Zugehörigkeit zu den Christdemokraten nicht mehr zusammen mit dem Wochenendhaus vererbt wird. Um das Erbe der Christdemokraten wird gekämpft.“ Wohin diese „verunsicherten“ Wähler der Christdemokraten abwandern, wissen wir noch nicht. Sichere Anzeichen erbrachte eine Serie von Umfragen über die öffentliche Meinung für die Regionalausgabe der Fernsehsendung „Fragen von Václav Moravec“ der Agenturen STEM und SC&C. „Eindeutig wissen werden wir es nach den Wahlen, aber in einigen Bezirken ist bereits sichtbar, dass wenn es eine Verschiebung gibt, diese in Richtung TOP 09 geht“, so Jana Hamanová von SC&C. „Obgleich dies vorläufig Bezirke betrifft, wo die Christdemokraten nicht so stark sind. Ich bin überzeugt, dass dies in Südmähren so aussehen wird.“
Den Kampf um diese Leute führen die Parteien allerdings nicht unbedingt mithilfe religiöser Appelle. Wir wissen nämlich, dass im Wahlverhalten der Glaube nicht der Hauptfaktor ist. Die Tatsache, dass gläubige Wähler nicht automatisch die Christdemokraten unterstützen, ist bekannt - wenn dem so wäre, müssten die Christdemokraten mit 35 Prozent alle Konkurrenten erdrücken, was nicht der Fall ist. In den Wahlen vor vier Jahren bevorzugten die Katholiken - welche unter den inländischen Gläubigen die grosse Mehrheit darstellen - laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts vielmehr die Sozialdemokraten (beinahe 34 Prozent der Katholiken wählten sie), die Bürgerdemokraten (32 Prozent) und die Christdemokraten als drittbeliebteste Partei mit 15 Prozent. Neun Prozent der tschechischen Wähler, die sich zum katholischen Glauben bekennen, gaben in den letzten Wahlen ihre Stimme sogar den Kommunisten.
Den markantesten Schritt in der Schlacht um das „Erbe der Christdemokraten“ unternahmen nichtsdestoweniger die Sozialdemokraten - wie gesagt, wurde letztes Jahr die innerparteiliche christlich-soziale Plattform wiederaufgenommen, welche zuvor für kurze Zeit Mitte der Neunzigerjahre existiert hat. Bei ihrer Entstehung stand der ehemalige Senator der Sozialdemokraten und Philosoph Karel Floss an erster Stelle und an zweiter der ehemalige Innenminister František Bublan.
„Gründe, warum wir die Plattform gegründet haben, gibt es mehrere“, so Bublan. „Wir wollten primär gegen das unwahre Klischee ankämpfen, dass die Sozialdemokratische Partei atheistisch ist. Wir wollen einfach darauf aufmerksam machen, dass unser Programm sehr nahe an das herankommt, was die meisten Kirchen im sozialen Bereich verkünden.“
Der fünfzehnköpfige Kern der Gründungsmitglieder der Plattform, zu welcher sich heute insgesamt 250 Personen zählen, trifft sich einmal monatlich. Bublan plant die baldige Gründung von Lokalgruppen, besonders in Mähren, und verneint natürlich, dass ihre Organisation nur als Lockmittel für die Wahlen gegründet wurde. „Wir machen ganz bestimmt keine Kampagne, um irgendwo Wähler zu fangen“, sagt er. „Denn wie viele könnten dies sein - allerhöchstens einige Prozentchen.“
In den knappen Ergebnissen, von welchen wir in den letzten Jahren Zeugen wurden, haben jedoch genau diese „einige Prozentchen“ über den Sieg entschieden.
Übersetzung: Christine Bertschi
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